Lust im Louvre – die Nächte des Hermaphroditos

hermaphroditos

Vierhundert Jahre alt.
Zweigeschlechtlich.
Verflucht.

Tagsüber ist Matteo aus kaltem Marmor – die Statue des Hermaphroditos, ausgestellt im Louvre.
Doch sobald die Nacht hereinbricht, erwacht sein Körper. Schön. Sinnlich. Begehrt. Und allein.

Niemand darf wissen, wer oder was er ist – denn wer sein Geheimnis erfährt, teilt sein Schicksal: ewiges Leben im falschen Körper, gefangen zwischen den Zeiten.

Um das Gefühl von Nähe nicht zu verlieren, stürzt sich Matteo in flüchtige Begegnungen, erotische Spiele und körperliche Rauschzustände. Doch wahre Erfüllung bleibt ihm verwehrt.
Bis Chloé auftaucht – wild, klug, unberechenbar – und etwas in ihm berührt, das längst verloren schien.

Kann Liebe erlösen, was ein Fluch gebunden hat?
Oder wird auch sie zum Opfer seiner Wahrheit?

Ein Roman über unstillbares Verlangen, die Suche nach Identität – und die gefährlichste aller Sehnsüchte: die nach echter Liebe.

230 Seiten
Elysion Books, 2025

Leseprobe

  • Das Kribbeln auf meiner Haut nimmt zu und ich seufze innerlich vor Ungeduld.
    Es fühlt sich an, als erwache ein eingeschlafener Arm oder Fuß wieder zum Leben ...

Erfahren Sie mehr ...
  • ... Dabei denke ich an das putzige Säbelzahneichhörnchen aus Ice Age, das mit dem Arsch im tauenden Eisblock feststeckt und kaum erwarten kann, endlich davon loszukommen. Ich habe mich im Kino schier kaputt gelacht über das Tierchen, das seine persönlichen Katastrophen magisch anzuziehen scheint.
    Geht es mir nicht ähnlich?
    Auch ich stecke im Untergrund fest, bis er mich freigibt und bin ein Pechvogel, der durch einen dummen Zufall in diese Situation geraten ist. Eigentlich sollte ich mich nach so langer Zeit und unzähligen Wiederholungen längst an den allnächtlichen Ablauf gewöhnt haben.
    Die letzten Sonnenstrahlen verblassen und die Dämmerung kündigt sich an.
    Zwar kann ich das von meiner Position aus nicht sehen, da die Raumbeleuchtung die äußeren Einflüsse verfälscht, und mehr als ein Blinzeln bringe ich außerdem auch nicht zustande. Aber ich fühle es. Mein Körper, meine innere Uhr fühlt, dass es bald soweit ist. Voller Ungeduld, Abend für Abend und Jahr für Jahr. Bald kann ich den ätzenden Tag hinter mir lassen und für ein paar Stunden das Vergessen in der Dunkelheit suchen.
    Ja, und was für ein Tag wieder hinter mir liegt! Touristenströme, Schulklassen, Studenten, Reisegruppen, Rentnerpaare, Liebespärchen, Einzelpersonen und Klugscheißer. Alle kommen sie Tag für Tag – außer dienstags – in den Louvre und starren uns an.
    Uns.
    Die Exponate.
    Von Künstlern geschaffene Objekte aus Stein, so realitätsnah modelliert, dass manche Besucher sich nicht beherrschen können und uns betatschen (wenn gerade keine Aufsicht im Saal zuguckt), um sich davon zu überzeugen, dass wir wirklich nicht leben oder dass wir nicht nur aus Kunststoff oder Gips bestehen.
    Nein, wir sind keine Fälschungen! Wir sind kunstvoll behauener und geschliffener Marmor, meine Damen und Herren!
    Also Finger weg.
    Wie ich das hasse!
    Ich will kein Objekt sein.
    Ich will nicht angestarrt, bestaunt, bekrittelt oder gar angefasst werden.
    Ich will nicht länger dieses wichtigtuerische Fachsimpeln hören, über die Qualität der Arbeit, über meine Nacktheit, über die Besonderheit oder Abartigkeit meiner Natur, darüber was der Künstler sich gedacht hat und mit der Skulptur ausdrücken wollte, und ob ich nun das antike Original oder doch nur eine spätere Kopie bin …
    Wenn ich tagsüber wenigstens tief und fest schlafen könnte, dann bekäme ich das alles nicht mit. Aber ich schlafe nie. Außer dienstags, wenn das Museum glücklicherweise geschlossen hat.
    An den anderen Tagen verfalle ich maximal in eine Art Dämmerzustand. Ich höre Geräusche, ich döse traumlos vor mich hin, aber ich bin genauso schnell wieder hellwach, wenn mir jemand zu nahe kommt. Wie ein Wachhund, der bei dem leisesten Geräusch aus dem Tiefschlaf hochschreckt.
    Wut über das Ausgestelltsein, über das Ausgeliefertsein, über meinen Gesamtzustand kocht in meinen Adern und es wundert mich, dass man meinen trommelnden Herzschlag nicht hört. Das dumpfe Wummern in meinem Brustkorb, das mir in den Ohren dröhnt, wenn ich am liebsten ausrasten, schreien und dabei wild um mich schlagen würde.

    Ich weiß nicht, wie es meinen Leidensgenossen, den anderen Skulpturen ergeht, da ich nachts noch nie einem von ihnen begegnet bin. Vielleicht gibt es in ihnen auch gar keine Existenz, vielleicht sind die anderen alle wirklich nur totes Gestein und ich bin in dieser Hinsicht einzigartig.
    Die einzige lebende Skulptur in diesem riesengroßen Museum.
    Oder sogar die einzige ihrer Art auf der ganzen Welt.
    Das klingt erschreckend und das ist es auch für mich, immer wieder aufs Neue, wenn ich darüber nachdenke. Denn eigentlich will ich nicht einzigartig sein, wenn der Preis dafür dieses elende Alleinsein ist. Denn obwohl ich mich nachts mit echten Menschen treffen kann, bin ich einsam und in meinem Zustand verloren.

Close

Weitere Bücher

Romane, Kurzgeschichten, Hörbücher & Ratgeber