Tango der Lust
Lilly Grünberg schreibt hier unter ihrem Pseudonym Sira Rabe über die Last mit der Lust.
Ihre Fantasie und ihr Gespür für prickelnde Settings und sinnliche Ereignisse machen auch diese Kurzgeschichten zu einem Vergnügen ohne Nebenwirkungen.
Dabei kreisen die Stories natürlich um das Eine, das ultimative sexuelle Erlebnis. Aufregend, betörend, unübertrefflich.
Egal ob es um eine unvorsichtige Ladendiebin geht, eine ungestüme Tangotänzerin oder ganz allgemein um die Last mit der Lust – jede Geschichte fesselt auf ihre eigene Art.
Leseprobe
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Marina Mendez mochte um die Dreißig sein, war schlank, oder besser gesagt:
wohlproportioniert und durchtrainiert.
Sie trug eine eng anliegende weiße Bluse ohne Ärmel mit tiefem Ausschnitt und einen nicht weniger engen Rock aus schwarzem, schimmerndem Stoff, den knielangen Saum seitlich geschlitzt und ...
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... angeschrägt.
Dieser sinnliche Tango – er hatte noch nie jemanden so Tango tanzen sehen wie diese Frau. Konnte das sein?
Marina Mendez tanzte den Tango nicht, sie war selbst der Tango. Der Mann an ihrer Seite, der Inhaber der Tanzschule und selbst ein anerkannter Profi in dieser Disziplin, wurde zur Nebensache degradiert, zum notwendigen Statisten.
„Frau Mendez wird nun einem von Ihnen die Ehre erweisen, den nächsten Tanz mit ihr zu erleben.“
Für einen Augenblick dröhnte sein Blut so in seinen Ohren, dass er ihre Worte nicht verstand, nur die Bewegung ihrer Lippen wahrnahm.
Sie meint mich? Wirklich?
Wie von selbst nahm er ihre Hand, nahm die Ausgangsposition ein, und wie von selbst begann er sich mit dem Einsetzen der Musik zu bewegen und fand zu seinem selbstbewussten Auftreten zurück.
Justins Befürchtung, er könne in den letzten Jahren alles verlernt haben, bewahrheitete sich nicht. Doch mitten im Tanz fragte er sich plötzlich, wer hier gerade wen führte. Er hätte besser aufpassen sollen, denn eigentlich hatte er nicht die Absicht, sich diesen Part abnehmen zu lassen. Marina Mendez machte bei weitem nicht immer das, was sie sollte. Das war ihm doch beim Zusehen schon aufgefallen und nun erlebte er es aktiv.
Tango war Leidenschaft.
Tango war Leben.
Beides traf zu.
Doch es war noch mehr. Denn Marina Mendez entzog sich seiner Nähe, seiner Führung, nur um kurz darauf sich wieder voller Hingabe führen zu lassen. Dabei sprang ein Funke auf ihn über, der nichts mehr mit bloßem Tanzen zu tun hatte. Wie sich jetzt offenbarte, war Tango auch Kampf. Ein in jeder Phase höchst erotischer Kampf. Marinas Bewegungen, ihre Kopfhaltung, ihr Gesichtsausdruck. Sie spielte mit ihm Katz und Maus, mehr als jede andere Frau, mit der er jemals Tango getanzt hatte.
Dieser Tango lebte von der Improvisation – ihrer Improvisation – sofern er sich aus dem Konzept bringen ließ, aber das war überhaupt nicht in seinem Sinne. Entschlossen kämpfte Justin um die Führung, hielt sie fester. Er war ein wenig überrascht, auf keinerlei Widerstand mehr zu stoßen. Sie folgte allen seinen Bewegungen und sie gaben bestimmt ein perfektes Bild ab.
Wie bei einem einstudierten Showtanz. Wie auf einem Turnier.
Vielleicht zu perfekt, als wisse sie seinen nächsten Schritt schon im Voraus, doch auch das behagte Justin nicht. Sie mochte die Profitänzerin sein, ja, aber er war der männliche Part, also führte er! Daher versuchte er sie zu verwirren, machte mittendrin eine Wendung. Doch nichts, gar nichts brachte sie aus der Fassung. Ganz im Gegenteil.
Nähe und Distanz, Führen und Folgen, Dominanz und Demut.
Justin zuckte mitten im Tanzen zusammen, als er begriff, wie viele Gemeinsamkeiten zwischen Tango und SM bestanden. Mit dieser Neigung, die sich bei ihm langsam, aber unaufhaltsam entwickelt hatte.
Was war mit ihr, mit dieser Marina Mendez? Ihre Blicke hingen für Sekunden aneinander, doch es war alles andere als devot, wie sie ihn ansah.
